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Hitzeflimmern bis ins Ziel

Nachdem der Kontrollpunkt 3 nur aus einem Tisch für die Organisatoren vor einem Hotel zur Verfügung bestanden hatte, war Kontrollpunkt 4 in einem Lokal gelegen. Ich nutzte die Örtlichkeiten, um mich zu waschen. Es fühlte sich an, als klebe kiloweise Staub an mir. Danach genehmigte ich mir zwei Frappé. Gegenüber gab es ein Fahrradgeschäft. Ich kaufte eine neue Trinkflasche, Reifenheber und Flickzeug. Das sollte mich über die noch verbleibenden etwas über 425 km bringen. Nach einer längeren Pause startete ich auf den letzten der 3 Parcours, die zu Kontrollpunkt 4 gehörten.

Zwischen den berühmten Klöstern von Meteora schraubte ich mich bei über 40 Grad Celsius nach oben. Aber Zeit für ein paar Fotos musste sein. Am Ende des Parcours, nach 13 km und 720 Höhenmetern, ging meine geplante Strecke eigentlich geradeaus weiter. Ich musste feststellen, dass dort eine Schotterpiste war. Und darauf hatte ich keine Lust. „Muss das sein?“, dachte ich. Ich setzte mich in den Schatten und begann meine Strecke bis Thessaloniki neu zu überdenken. Ich wusste, dass die ersten des Rennens den Parcours wieder zurückgefahren sind, um dann flach über Larisa bis kurz vor Thessaloniki zu fahren. Das war lediglich 30 km länger, aber flach, ohne Schotter, und mit zum Teil Rückenwind, wie mir meine Wetterapp zeigte. Also wieder runter. Jetzt war es Nachmittag und die Hitze einfach für mich unerträglich. Im Lokal von Kontrollpunkt 4 lud ich meine Elektronik auf, spielte die neue Strecke auf den Garmin, und genehmigte mir noch einen Frappé. Dann ging es aber los. Und es lief sehr gut. Endlich flach. Neben den großen Straßen gab es Service Roads, ohne Verkehr, die mich schnell bis Larisa und darüber hinaus brachten. Unterwegs noch einmal etwas zu Trinken kaufen, und immer weiter. Es wurde zunehmen schwüler. Hinter mir bahnten sich Gewitter an. Aber außer der feuchten Luftmassen habe ich nichts weiter davon mitbekommen. Irgendwann musste ich aber noch einmal einen Powernap einlegen. Leider waren Bänke noch etwas Ähnliches, auf dem man eine Pause hätte machen können, nicht vorhanden. Da auf den Service Roads aber am Samstag überhaupt kein Verkehr war, entschloss ich mich einfach auf den Straßenrand auf dem Asphalt zu legen. Als ich mich auf selbigen setzte und mich auf den Rücken legte, kam es mir wie eine Fango Packung vor. Man war der Asphalt heiß. Aber der Schmerz ließ schnell nach, und vielleicht hat es meine Muskeln ja sogar entspannt.

Es ging weiter Richtung Katerini. Vielleicht eine gute Möglichkeit für eine Übernachtung. In Platamonas erreichte ich zu ersten Mal die Ägäis. Sehen konnte ich das Meer in der Dunkelheit nicht, aber hören und riechen. Der Olymp lag etwas nordwestlich von mir im Dunkeln, und ich fragte mich, ob die Götter mir für den Rest des Rennens hold sein würden. 

Jetzt ging es durch Touristenorte, und das an einem Samstagabend. Es waren viele Leute und Autos auf der Straße. An einem Restaurant hielt ich kurzentschlossen an, und bestellte mir Souvlaki mit Brot und ein alkoholfreies Bier. Es mundete sehr. Als ich zu Rad zurückging, stand eine Familie darum herum, und der Vater erklärte dem Sohn die Technik. „Nimmst Du am Transcontinental teil?“, fragte er mich. Als ich dies bejahte, strahlten seine Augen. Ich bin nur knapp an einer Autogrammstunde vorbeigekommen, und setzte meine Fahrt durch Leute und Autos langsam fort. Katerini würde ich nicht mehr erreichen. Ich war zu müde und es war beinahe Mitternacht. Einen geeigneten Platz zu finden gestaltete sich schwieriger als gedacht. Keine freien Hotels, denn hier war eine Touristengegend. Alles ausgebucht. Auch keine wirklich guten anderen Plätze im freien. Ich suchte fast 45 Minuten, bevor ich aufgab. Ich würde nichts Gescheites mehr finden und schob mein Rad hinter einem Bagger auf einer Baustelle. Der bot etwas Schutz vor direkter Sicht zur Straße, und hier waren auch keine Hunde. Sandig und staubig, aber der Bagger gab einen prima Kleiderständer her. Ich schlief gut und lange. Um 5:30 gewann der Wecker nach Dauerklingeln dennoch den Kampf, und es ging hinein in den Sonntag, den vorletzten Tag. Noch ca. 300 km standen auf dem Programm bis zum Ziel. Und ich wollte für den letzten Tag, wenn möglich nur noch um die 100 km davon übrig behalten.

Sonntage sind immer schwierig. Man muss sich mit Cafés und Tankstellen über den Tag retten, denn viele Supermärkte sind geschlossen. Die Hitze und die Sonne waren zurück, und ab ca. 20 km hinter Alexandreia, auf Höhe von Thessaloniki, stieg die Straße wieder an. In Kilkis, es war schon früher Nachmittag, genehmigte ich mir ein Eis, konnte in einer Bäckerei etwas Vernünftiges zu Essen kaufen, und machte zunächst im Schatten in einem Park Pause. Mein Nacken begann zu schmerzen, vielleicht Folgen von den Stürzen in der Nacht zum Samstag? Viele Teilnehmer machten Pause, das konnte ich auf dem Livetracker sehen. Es war auch wirklich zu heiß zum weiter fahren. Ich ging in ein Café, genoss die Klimaanlage und lud mein Telefon währenddessen auf.

Irgendwann bin ich dann weiter Richtung letztem Parcours und mein Nacken wurde immer schlimmer. Ich hatte Probleme, den Kopf in den Nacken zu tun, um weit genug vorausschauen zu können. Immer öfter stützte ich den Kopf mit einer Hand, während ich auf dem Aero Auflieger lag. Richtig schnell war ich so nicht mehr unterwegs, aber es ging nicht anders. Es war nicht mehr weit bis zum Start des letzten, mehr als 140 km langen Parcours, als ich auf der linken Seite ein Lebensmittelgeschäft sah. Ich konnte Wasser und etwas zu Essen kaufen, und genehmigte mir auch ein Eis. Als ich das Geschäft verließ, gesellte sich ein belgischer Teilnehmer zu mir. Wir plauderten draußen etwas zusammen. Eigentlich schimpften wir beide über diese irrsinnigen Schotterpassagen. Er meinte ironisch, dass es im nächsten Jahr vielleicht noch Fallschirmspringen und Rafting zusätzlich geben sollte. Wir fuhren kurz nacheinander weiter. Er wurde wieder dämmrig, als ich den Parcours erreichte. 

Diese mal war der Gravelparcours etwas besser befahrbar, und wenn nicht, habe ich vorsichtig geschoben. Mein steifer Nacken erlaubte es mir nicht mehr, weit genug nach vorne blicken zu können, und ich musste beide Hände am Lenker halten. Und auf einen weiteren Sturz kurz vor dem Ende hatte ich auch nicht wirklich Lust. Irgendwann war es dann vorbei. Ich erreichte am Rande des Kerkini Sees, es war gegen 23:00 Uhr, wieder Asphalt. Gerade hatte ich mich auf einer Bank auf einem Spielplatz niedergelassen, um etwas zu essen, als Kim Heikkinen mich passierte und mir zurief, dass ein paar Meter weiter noch ein Restaurant sei. Ich hatte es gar nicht gesehen. Wir haben beide dort gut gespeist. 2 Bifteki mit Fritten, davor ein griechischer Salat. Nach einigen Minuten gesellte sich ein weiterer Teilnehmer, Erik Ringkvist, zu uns. Es war bereits 1 Uhr morgens, als wir die Wirtin fragte, ob wir auf der Restaurantterrasse übernachten könnten. Das sei kein Problem, erwiderte sie. Wir schoben Tische und Stühle beiseite und schlummerten erschöpft dahin. Kurz nach 4 Uhr klingelte der erste Wecker. Langsam machten sich drei müde und erschöpfte Radfahrer auf, ihre Isomatten und Schlafsäcke einzupacken. Ohne Frühstück ging es los. Leider fand sich am Montagmorgen in keinem der Dörfer eine Bäckerei oder Tankstelle. Hier waren noch alle Bürgersteige hochgeklappt. Es war gegen 8:40 Uhr, als ich in ein kleines Dorf kam, in dem eine Apotheke auf der linken, und ein Supermarkt auf der rechten Seite lag. Und ich brauchte dringend beides. Die Apotheke wegen meines Nackens, und den Supermarkt, weil ich seit fast 2 Stunden nichts mehr zu trinken hatte. Bei den Temperaturen, die 30 Grad Celsius waren längst überschritten, kein Spaß.

Die Apothekerin saß im Kundenraum auf einem Stuhl. Nachdem ich sie gefragt hatte, ob sie etwas für meinen Nacken habe, rief sie etwas über die Straße, und eine junge Frau erschien. Diese sollte als Dolmetscherin fungieren, denn die Apothekerin verstand nur wenig englisch. Ich kaufte eine Halskrause, zog sie an und ging herüber zum Supermarkt. Die junge Frau gleich mit, denn sie war die Verkäuferin. Schnell kaufte ich Getränke und Frühstück. Auch Kim und ein weiterer Teilnehmer kauften gerade hier ein. Ich speiste vor dem Supermarkt, und die Verkäuferin machte mir noch einen Frappé, ganz umsonst. Wahrscheinlich hatte sie einfach Mitleid mit dem alten Mann in dreckigen Sachen und mit Halskrause.

Frisch gestärkt ging es weiter auf dem Parcours. Es standen noch ein paar Kilometer Gravel an. Dieses Mal eher Sand, und nichts wirklich Wildes. Normalerweise fahrbar, aber mit meinem Nacken leider nur sehr schwer. Wieder viel laufen und schieben. Aber irgendwann lag dieses letzte Stück Schotter und Sand auch hinter mir, und es ging geradewegs Richtung Thessaloniki. Aber so einfach, wie ich es mir erhofft hatte, waren diese letzten Kilometer nicht. Man hatte alles an Steigungen in den Parcours eingebaut, die man finden konnte. Bergauf ging es einigermaßen, aber bergab wurden meine Nackenschmerzen unerträglich. Ich brauchte beide Hände zum Bremsen, konnte meinen Kopf nicht mehr stützen. Der zusätzliche Druck auf den Nacken beim Herunterfahren und bremsen ließ mich beinahe ohnmächtig werden. Im Stand stützte ich meinen Kopf, guckte was auf den nächsten 50 Metern im Weg stand, rollte dann diese 50 m, stoppte, und das ganze wieder von vorn. Das ging quer durch Thessaloniki so. Irgendwann kam ich dann endlich am weißen Turm, einem der Wahrzeichen der Stadt, an. Jetzt würde es nur noch ein paar Kilometer flach entlang der Promenade bis ins Ziel gehen. Ich konnte den Kopf wieder stützen, und fuhr nach 3853 Kilometern am Montagmittag glücklich durch selbiges. Es wurde applaudiert, ich nahm Glückwünsche entgegen, gab meine Brevet-Karte zum Abstempeln ab, genehmigte mir ein Ziel-Bier und setzte mich in den Schatten. Eine Physiotherapeutin, Hanna de Sousa, bot ihre Dienste unentgeltlich den Teilnehmern an. Eine in Portugal lebende Schwedin, Triathletin, die nächstes Jahr beim TCR starten möchte, und sich somit ihren Startplatz sicherte. Auf meine Frage, ob sie sich einen Nacken ansehen könne, antwortete sie, dass alle Termine des Tages schon weg seien. Etwas enttäuscht setzte ich mich unweit von ihr in den Schatten und war erst einmal damit beschäftigt alle Mails, WhatsApp und Instagram Nachrichten zu lesen und zu beantworten. Unmöglich, denn sobald ich eine beantwortet hatte, waren mindestens zwei neue eingetroffen. Irgendwie hat Hanna dann das mit meinem Nacken gesehen und mir super schnell doch noch geholfen. Was für eine Wohltat. Nach rund zwei Stunden geistiger und körperlicher Leere im Zielbereich (in bester Gesellschaft), ging ich in den nächstgelegenen Supermarkt, kaufte Badelatschen, Essen, und Toilettenartikel ein, buchte eine Unterkunft, und radelte langsam zu selbiger. Dort wurde ausgiebig geduscht, und bis zu Finischer-Party um 1900 war noch genug Zeit für ein Nachmittagsschläfchen.

Auf der Feier konnte ich viele mittlerweile bekannt Gesichter wieder sehen. Oft haben sich die Wege der Teilnehmer gekreuzt. Auch die ersten 5 der Gesamtwertung waren anwesend. Es wurde viel geredet und gefachsimpelt. Alle waren froh, als gegen 21:15 Uhr endlich die Siegerehrung startete. Lediglich Christoph Strasser war von den ersten der Gesamtwertung noch da. Die anderen hatten, mittlerweile hungrig, den Weg in ein nahes Lokal genommen. Gegen 22:30 Uhr habe ich die Feier auch verlassen. Ich war einfach zu müde, und Hunger hatte ich auch. Am Ausgang traf ich Jesper wieder. Auch er hatte es bis zum Ziel geschafft. Den vierten Kontrollpunkt hatte er nicht im Zeitlimit erreicht, somit war er nicht mehr in der Wertung. Aber ins Ziel gekommen ist er, und darauf kam es den meisten von uns an. Zurück in der Unterkunft buchte ich meinen Flug um auf Donnerstag. Dienstags habe ich mit dem Verpacken des Fahrrades verbracht. Es war nicht leicht, die entsprechenden Kartons für den Transport zu organisieren.

Mittwoch ging es noch kurz zum Shoppen in die Innenstadt, und am Donnerstag nahmen mich Herbert Schmerz und Bernd Esser von der Projektgruppe Malabon e.V. am Düsseldorfer Flughafen in Empfang. Das war das Ende einer aufregenden und erlebnisreichen Tour quer durch Europa. Mehr als 3800 Kilometer in 14 1/2 Tagen, mit den üblichen Höhen und Tiefen, tollen Begegnungen, und Eindrücken, die mir keiner mehr nehmen kann. Dazu noch über 6000 Euro an Spendengelder für die Straßenkinder gesammelt. Mission accomplished!