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„Ente“ gut, Alles gut!

Das Race Across Germany von Aachen nach Görlitz 2021 ist Geschichte. Offiziell 780 km, waren es für mich, mit freiwilligen und unfreiwilligen Umwegen, 801 km. Der offizielle Track von Dieter Goepfert, dem Veranstalter, war 796 km lang, und er beinhaltete nicht die Umleitung kurz vor Ende. Dazu später mehr.

Laut meinem Tacho und meinen Trackingapps habe ich für die 801,63 km 29: 05:57 Stunden reine Fahrzeit benötigt, 30:52:29 insgesamt, einschließlich Pausen. Dabei habe ich 7358 Höhenmeter bewältigt und rund 20000 kcal verbraucht. Was ungefähr 21 Tüten Chips (175g Packungen) gleich kommt. Zur Belohnung gab es nach der Siegerehrung und dem Duschen dann auch erst einmal ein Radler und ein Softeis.

Aber lasst mich mal 12 Monate zurückspringen. Denn im Oktober 2020 fing eigentlich das ganze Drama des letzten Jahres an. Durch einen heftigen Stoß an einer Türklinke hatte ich mir einen Tennisarm (links) eingehandelt, an dem ich bis Februar/ März laboriert habe. Ich musste zeitweise sogar mit dem Zeitfahraufsatz fahren, da ich den Lenker nicht anders halten konnte. Zum Glück konnte ich beruflich alles mit der sehr gut funktionierenden Spracheingabe und der Schrifterkennung erledigen. Der April verlief tatsächlich gut, bevor ich im Mai auf dem Weg zum Bäcker ausgerutscht bin, und durch einen Ausfallschritt den Sturz zwar verhindern konnte, mir aber eine unangenehme Adduktorenzerrung zuzog. Bei höheren Belastungen, also Intervall Trainings oder Rennen hatte ich bis Anfang August Probleme. Rechtzeitig zum Start des RAG wurde es besser. Daher habe ich mir genau 2 Wochen vor dem Start mein Schienbein heftigst geprellt. Marmor ist wirklich hart! Am Tag vor dem Start war eigentlich noch gar nicht sicher, ob es gehen würde. Die Devise war daher zu starten, und falls die Schmerzen zu groß würden, abzubrechen. So, genug geheult…

Abholung der Startunterlagen mit Dieter Göpfert, dem Veranstalter

Bis auf die Wehwehchen war die Vorbereitung trotzdem ok, obwohl ich gerne mehr intensivere und kürzere Einheiten hinzugefügt hätte. Kurz vor dem Termin wurde es mal wieder hektisch. Zwar hatte ich Donnerstag einen Tag frei, aber 2 Tage wären wesentlich besser gewesen! Kommt auf meine Checkliste für das nächste Mal.

Was stimmen muss, ist das Material. Neue Kette, Kettenblätter und Ritzel, neue Reifen, neue Schuhplatten, neue Steuersatzlager und noch neue Schaltzüge. Tretlager nochmal einfetten und die Batterie vom Leistungsmesser überprüfen. Vor allem alle Lampen überprüfen und laden. Dann immer die Frage, was man alles mitschleppen muss. Werkzeug, Flickzeug, Kleidung und jede Menge Proviant. Am schwersten ist das ganze Essen. Müsliriegel und Gels, dazu noch Getränkepulver. Ersatzteile, Licht, Tacho, Powerbanks. Mehr als 10 kg Übergewicht. Das muss noch optimiert werden.

Freitag:

5:45 Uhr: Aufstehen und Frühstücken, alles ins Auto packen und ab zum Start.

Im Parkhaus in der Nähe vom Aachener Markt

07:40 Uhr: Ankunft auf dem Marktplatz in Aachen. Viele Mitglieder der Projektgruppe Malabon eV. sind da. Auch Freunde und Arbeitskollegen. Super Sache!

08:00 Uhr: Die ersten beiden Teilnehmer gehen auf die Strecke. Zuerst starten die Teilnehmer der non-supported Kategorie. Macht Sinn, denn die sind meist am längsten unterwegs.

08:01 Uhr: Ich werde aufgerufen. Rolle zum Start. Dieter erwähnt nochmals meine Spendenaktion und unter Applaus und Anfeuerung geht es um

08:02 Uhr: pünktlich los. Zunächst gibt es die Geschicklichkeitsaufgabe lebend aus Aachen herauszukommen. Die Peterstrasse und die Jülicherstrasse im Berufsverkehr sind „super“. Baustellen und gefühlte 1001 Ampeln, die für Radfahrer immer rot sind! Inka Tulowitzki und Rainer Hess ,die vor mir gestartet sind, waren immer genau eine Ampelperiode voraus. Am Hansemannplatz meint ein Autofahrer schnell in eine Parklücke fahren zu müssen. Ohne zu gucken, ohne Blinker. Markus Apfelbaum, der mit mir zeitgleich gestartet ist, und ich habe da das erste Mal geflucht und 800 km wären fast nach 1 km zu Ende gewesen. „Das war knapp” meint Markus, erfolgreicher Paris-Brest Teilnehmer, ganz trocken zu mir. Ich hatte jedenfalls 180 Puls. Nachdem es in Aachen Haaren rechts abging, wurde es besser. Im Anstieg der Haarender Gracht nach Verlautenheide, ich fuhr ca. 50 Meter vor Markus, überholte ich auf dem Radweg einen jungen Mann auf einem Mountainbike. Am Anfang einer so langen Tour fährt man wirklich langsam. Jede Minute, die du am Anfang zu schnell unterwegs bist, kostet am Ende Stunden. Also fahre ich an dem Mountainbiker vorbei, mit moderaten 200 Watt. Das war aber offensichtlich gegen seine Ehre. Er also raus aus dem Sattel und Vollgas. Blöd nur, wenn einem das Vollgas nach 100 m schon ausgeht und man dann wie ein Eimer abparkt. Also bin ich einfach in gleichem Tempo wieder vorbei. Markus rief mir von hinten noch die Worte „Klassiker“ zu, nachdem er auch an dem Mountainbiker vorbei ist.

Danach ging es weiter über Stolberg endlich raus aus dem Verkehr. Donnerberg rauf und durch Gressenich, Schevenhütte nach Langerwehe, vorbei an Düren und über die Dörfer bis Bonn. Das sind die bei Weitem flachsten Kilometer der gesamten Strecke.

11:18 Uhr: Ich überquere den Rhein in Bonn. Mittlerweile hat mich Michael Bitter eingeholt, und wir treffen uns an jeder Ampel durch die Stadt wieder. Ich trage 2 Trikots und muss feststellen, dass das zusammen mit dem Unterhemd am Rhein viel zu warm ist. Ich brauche Wasser! Bei Bornheim geht es dann eine steile Rampe nach oben raus aus dem Rheintal. Wissend, dass ich Michael da sowieso nicht weiter im Blick halten kann, freue ich mich über die Baustelle, an der ein Arbeiter gerade Wasser aus einem Hydranten zapft. Flasche drunter, und nach ca. 0,2 Sekunden war sie auch schon voll. Schön kalt. Und weiter geht es in Richtung Westerwald.

In den kommenden Stunden überholen wir uns immer alle gegenseitig. Die supported Fahrer holen auf und jeder non-supported Fahrer hat unterschiedliche Pausen und Stopps.

Irgendwann haben wir uns dann zu dritt oder manchmal auch zu viert getroffen. Immer mit Abstand, eine Sache der Ehre, denn Windschatten fahren ist verboten.

Die Strecke war anders als noch 2017, den alten GPS Track hatte ich letztes Jahr genutzt. Etwas länger, aber dafür nicht mehr über die Bundesstraßen, sondern über sehr schöne Wege abseits des Verkehrs. Viel schöner, aber anstrengender! Mehr auf und ab, es rollt weniger gut, und manchmal musste man dann doch den Weg suchen.

12:55 Uhr: Nach 139 km hat der GPS Track einen Fehler. Ich wurde gerade von Andreas Nebel eingeholt. Wir drehen um, treffen dabei auf Martin Neitzke und einen weiteren Fahrer. Die nächsten Kilometer fahren wir mit dem gebührenden Abstand in Rufweite hintereinander her.

13:10 Uhr: Eine Rechtskurve in einer Abfahrt bei Kilometer 146 habe ich dann unterschätzt. Irgendwann muss man sich entscheiden. Vollbremsung und keine Möglichkeit zu lenken, oder versuchen doch noch um die Kurve zu kommen. Ich hatte mich für das letztere entschieden, aber mir fehlten ca. 20 cm Asphalt zur Seite. Dann doch lieber ein kontrollierter Abflug in die Wiese. Weich gefallen, der viele Regen der letzten Wochen hat auch sein Gutes! Den anderen rufe ich ein „alles Ok“ zu, damit die schnell weiter kommen. Danke fürs Stoppen und Nachfragen, ob alles ok ist, Jungs! Also schnell wieder aufs Rad und hinterher. Erst nach ein paar Kilometern habe ich dann festgestellt, dass mein Glücksbringer nicht mehr am Rad war. Meine Glücksente hat mich seit 1994 bei allen Radrennen und Sportevents begleitet. Ich hatte sie vor dem Start von „Rund um Dom in Rathaus“ damals von meinem Freund Christoph bekommen. Sie hat offensichtlich ihr Bestes gegeben! „Free Ente“ meinte Christoph, nachdem ich ihm das mitgeteilt hatte. Ich denke sie hat alles gegeben, denn weder an mir noch am Rad gab es „Defekte“. Wie mir später berichtet wurde, hat sich mindestens noch ein weiterer Teilnehmer in der gleichen Kurve auf die Nase gelegt und dabei sogar überschlagen. Aber auch da alles gut. Ich hole die anderen schnell wieder ein und wir fahren gemeinsam mit Abstand weiter. Unterschiedliche Stopps an Friedhöfen oder Tankstellen ändern die Zusammenstellung permanent.

14:00 Uhr: Die Hügel nehmen kein Ende und es beginnt der anstrengendste Teil des ersten Teilstücks. Ich muss einsehen, dass ich dem Tempo meiner Kollegen mit dem Schienbein-Problem nicht folgen kann. Wiegetritt ist nicht, noch nicht. Man hat keine Ahnung während des Rennens, wo man liegt. Zeit und Muße auf den Tracker zu gucken habe ich nicht. Den WhatsApp Nachrichten habe ich aber entnommen, dass ich nicht so schlecht liege. Irgendwo im ersten Drittel vielleicht? Passt.

15:01 Uhr: Raus aus Rheinland-Pfalz zurück nach NRW. Genau auf der Landesgrenze beginnt es zu tröpfeln. Das Tröpfeln wird nach einigen Minuten zu Starkregen. Unter einer Brücke ziehe ich mir die Regenjacke an und fahre weiter. Nachdem der Regen vorbei ist, stoppe ich bei c.a. km 200 in Rabenscheid an einer Tankstelle. Der Stopp war eingeplant, mit der Idee bis Bad Hersfeld dann durchfahren zu können. Das hat bestens funktioniert.

16:10 Uhr: Von Herborn aus geht es auf einer stark befahrenen Straße „falsch Platt“ über viele Kilometer bis Oberweidbach nach oben (Name ist wie immer Programm). Oben, bei Kilometer 240, steht ein Support Team (ich glaube der T5 mit dem Münchner Kennzeichen welcher einen Teilnehmer aus Düren unterstützte, oder war es doch der mit dem Tölzer Kennzeichen?) und feuert mich an. Nur wenige hundert Meter weiter steht Dieter und tut selbiges. Überhaupt ist es super, wie die Teams der anderen Fahrer uns non-supported Fahrer anfeuern. Das motiviert und macht richtig Laune. Hinter Oberweidbach fährt man durch wunderschöne Landschaften weiter Richtung Bad Hersfeld.

18:10 Uhr: In Amöneburg gibt es eine Baustelle, die sich aber gut durchfahren lässt. Ich treffe am Ende auf Julian Rotariu aus Rumänien, der seit Jahren in Norddeutschland lebt, als er sein verlorenes Smartphone aufsammelt. Es hatte sich auf einem kurzen Kopfsteinpflaster Stück wohl verselbstständigt.

19:00 Uhr: Alsfeld ist bei Kilometer 302 erreicht. Der Garmin sagt, er sei fast leer und bittet um den Energiesparmodus. Komisch, denn er hat eine zusätzliche Powerbank. Aber die hat es im Regen gehimmelt, dachte ich. Zu Hause habe ich festgestellt, das es lediglich an einem defekten Kabel lag.

Schnell umgesteckt und die große Powerbank vom iPhone einfach mit dem anderen schon vorher dort eingesteckten USB Kabel an den Garmin anschließen. Das iPhone ließ sich gerade auch nicht laden, da Feuchtigkeit in der Ladebuchse war. Woher die wohl kam?

20:00 Uhr: Es wird noch einmal nass, aber nicht so stark und lange wie vor Herborn. Mir tun von dem Sturz alle Knochen weh, so dass das Schienbein gar nicht mehr auffällt. Da geht auch wieder im Wiegetritt fahren. Man kann das ja auch mal so sehen… Ich treffe Andreas Nebel wieder als er gerade aus einer Dönerbude kommt, wo er etwas zu trinken gekauft hat. „Irgendwie erwische ich immer die Bude wo es am langsamsten vorangeht“, meint er. „Da bestellt ausgerechnet vor mir jemand 20 Döner mit diesem oder jenem und hat dann noch Probleme beim bezahlen…“. Nach einer kurzen Unterhaltung zieht er weiter. Ich kann, will, nicht so schnell. Ich schalte danach ein Rücklicht(von Vieren ) ein, und das vordere Blinklicht. Mit dem eigentlichen Licht will ich so lange warten wie möglich, denn die Nacht wird lang, und mein Akku hat die besten Jahre hinter sich. Aber irgendwann vor Bad Hersfeld geht es nicht mehr ohne. Denn um 19:45 war Sonnenuntergang, und durch die Wolken war es früh mit der Dämmerung vorbei.

Pause nach 340km in Bad Hersfeld

20:25 Uhr: Bad Hersfeld ist erreicht. Ich fahre auf den McDonalds Parkplatz, sehe niemanden. Egal schnell die SMS an Dieter schicken. Dann rufe ich Dieter an. Ok, ich stehe 100 m von Dieter entfernt, alles klar. Ich komm rüber. Was für ein Unterschied zum letzten Jahr wo ich einsam in der Aral Tankstelle etwas gegessen hatte. Erstens bin ich schneller unterwegs, trotz der geänderten Strecke, und dann treffen sich viele Teilnehmer dort, um Pause zu machen. Andres hat seinen Stopp gerade beendet und radelt los. Martin Neitzke ist auch fast durch. Dieter und seine Crew sorgen mal wieder für eine tolle Stimmung und ich erhalte meinen Verpflegungsbeutel mit den Wasserflaschen, dem Essen und vor allem einem Schwarzbrot mit Käse, den ich beim Start abgegeben hatte. Wenn man die ganze Zeit Müsliriegel, egal ob gekauft oder selbstgemacht, isst, braucht man auch mal etwas Herzhaftes. Das Schwarzbrot ist das kulinarische Highlight der 800 km . Ich halte den Stopp so kurz wie möglich. Beinlinge anziehen, au Backe. Ich merke wie dick das rechte Schienbein und Fußgelenk schon ist. Aber ich habe sie noch drüber bekommen und einmal an, war es auch ok. Und jetzt stand fest, dass ich durchfahren würde. Da guckten zu viele von euch zu, um aufzugeben. Jetzt noch das Feuchtigkeitsproblem vom iPhone lösen. Mit einem Zewa und pusten war es schnell gelöst. Gerade noch rechtzeitig, denn mein iPhone war fast leer.

20:55 Uhr: Pause vorbei, es geht schnell weiter durch die Nacht. Bis Eisenach ist es nicht so weit. Ich mag diesen Abschnitt sehr. Rauf und runter mit ein paar schnellen Abfahrten und kaum Verkehr. Nach dem Wildwechsel vom letzten Jahr bin ich etwas vorsichtiger gefahren, nur 78 km/h Spitze. Lag aber auch an den Kettenblättern, die zwar bergauf meine Rettung waren, aber für bergab und flache Strecke war ich einfach zu kurz übersetzt. Ich kann auf so langen Strecken irgendwann nicht mehr mit einer 100er Trittfrequenz fahren.

22:30 Uhr: Herleshausen ist bei km 383 erreicht. Mittlerweile habe ich mehrmals die alte Zonengrenze überfahren und es geht durch Thüringen weiter.

23:00 Uhr: Eisenach (km 393), jetzt bloß nicht schon wieder wie im letzten Jahr verfahren. Ich steuere eine Tankstelle an. Lieber noch einmal die Flaschen auffüllen. Denn ich liege weit vor meinem optimistischen Plan, sodass ich mit etwas Glück in Zeitz noch vor 06:30 Uhr sein würde, und dann erst macht dort die Tankstelle auf. Also Fahrrad abstellen. Draußen vor dem Eingang standen ein paar gestandene Jungs in meinem Alter aus Eisenach und tranken sich ein Bierchen. „Habt ihr ein Auge aufs Rad?“, frag ich. „Jau“ kommt zurück. Also rein, noch zwei Jungs drinnen beim Bierchen. Und der Tankwart mit dabei. Cool. Hier kauf ich ein! Zwei Flaschen Sportgetränk geschnappt, na ja das dachte ich, bezahlt und rein in meine Trinkflaschen. Ich weiß nicht, was es war, aber es schmeckte einfach sch….

Noch ein kurzer Schwatz mit den Jungs vor der Türe (jetzt waren alle dort), die obligatorisch Fragen woher, wohin, wozu, wie teuer ist das Rad, und bist du bekloppt? Aachen, Görlitz, weil ich es kann, ist gebraucht gekauft, ja, lauten die Standardantworten. Weiter Richtung Bad Langensalza.

Die nächsten Stunden sind ruhig, und ich komme gut voran. Mittlerweile haben wir uns alle aus den Augen verloren. Ab und an steht mal ein Rad an einer Bushaltestelle und ein Kollege ist beim Powernap. Mir geht es gut, nicht müde, versuche durchzufahren, was auch klappt. An alle Anwohner entlang der Strecke hiermit die Entschuldigung: der bekloppte Radfahrer mit der “Hallo Wach Playlist” und aufgedrehter Mucke war ich.

Samstag, 02:20 Uhr: ich erreiche Sachsen-Anhalt. Die nächsten 2 Stunden rollt es gut, aber man spürt, dass es im September wesentlich länger dunkel ist als im Juni oder Juli. Die Batterieanzeige meines Frontscheinwerfers zeigt an, dass nur noch weniger als die Hälfte der Ladung noch übrig ist.

4:35 Uhr: ich durchquere Zeitz. Hier fährt man quasi durch die riesige Anlage von Südzucker. Meine optimistischste Planung war, gegen 07:00 Uhr morgens in Zeitz zu sein, um dann in der Tankstelle wieder neues Wasser kaufen zu können. Aber zum Glück sind auf der Strecke viele Friedhöfe, die man nutzen kann. Also keine Gefahr auszutrocknen.

5:42 Uhr: Sachsen ist bei km 580 erreicht. Aber wird es überhaupt noch einmal hell? Der Akku meines Frontscheinwerfers ist fast leer und immer noch kein Sonnenaufgang? Eine Stunde muss er noch mindestens durchhalten. Die lange Dunkelheit lag auch an der dicken schwarzen Wolke, die sich auch alsbald entlud. Gibt das viel Regen oder nicht, im Dunkeln kann man das nicht erahnen. Ich hoffe, dass es nicht so stark regnen wird. Falsch gedacht. Ich suche nach einer überdachten Bushaltestelle, kommt aber keine. Endlich um

Endlich Sonnenaufgang nach einem heftigen Regenguss

06:30 Uhr in Geithain bei km 595 findet sich dann eine selbige. Schnell die Regenjacke unter die gelbe Warnweste und weiter geht es. Ein paar Kilometer weiter, in Königsfeld, kann ich dem Duft einer Bäckerei nicht widerstehen. Ein Kürbiskern- und ein Rosinenbrötchen müssen sein. Bis Rochlitz (km 600)sind diese längst verputzt und es wird hell. Die Landschaft sieht gespenstig aus, immer noch kaum Verkehr am Samstagmorgen.

09:33 Uhr: Ein paar Stunden später, außer nasse Straßen mit zum Teil schlechtem Belag gab es nicht viel zu sehen und spüren, komme ich zur zweiten Timestation in Wilsdruff. Jetzt ist es nicht mehr weit zur Elbe und dann nur noch ein Katzensprung bis Görlitz. Ja, man kann sich fast alles schönreden oder denken. Die Abfahrt hinunter zur Elbe ist bei Trockenheit schon gefährlich. Mit Kopfsteinpflaster übelster Güte bei 10 % Gefälle machen Serpentinen vor allem bei Nässe wenig Spaß. Ein supported Fahrer holt mich gerade ein, und ich kann ihm wenigstens noch den Tipp geben vorsichtig hinter mir runterzufahren. Kutscher kennt den Weg. Unten vor der Elbbrücke (km 675) hat der GPS Track seit 2017 einen Fehler, ich rufe dem Kollegen noch zu, dass er hinter mir herfahren soll, aber er verlässt sich lieber auf sein Navi. In Radebeul holt er mich wieder ein und lacht mir ein „das nächste Mal höre ich auf dich“ zu. Wir sind eine ganze Weile noch im Blickkontakt, aber aus dem Elbtal raus muss ich wieder klein beigeben. 20-30 Watt mehr hätte ich gerne getreten, aber es ging einfach nicht. Blödes Bein …

10:10 Uhr: Die letzten 110 km brachen an. Die Strecke durch die Lausitz hat es in sich. Nix ist flach. Kein Wunder, dass Hotels und Pensionen auf ihren Internetseiten oft Bilder mit viel Schnee zeigen. Radeberg und Radeburg sind die nächsten Stationen, Burgen liegen selten im Tal, also haben die Namen leider ihren Grund. Ich rufe meine Frau und meinen Jüngsten an, um zu sagen, dass ich zwar früh dran bin, aber Klamotten und Waschzeug bei Dieter im Wagen deponiert habe, also kein Stress. Mein Taxi ist aber schon in Höhe Erfurt, und sollte vor mir am Ziel sein. Mir kommen die ersten samstäglichen Radsportler entgegen, die mir alle ganz aufgeregt zuwinken und Aufmunterungen zurufen. Danach geht es über eine größere Straße bis Bischofswerda. In Bischofswerda scharf links auf eine Kopfsteinpflasterstrasse bergab, die den letzten Härtetest für das Material darstellt. Alles ist noch am Rad als ich unten ankomme und es geht links Richtung Bautzen. Dann endlich der erste Idiot der mich von der Strecke Hupen möchte. Ich dachte schon es kann nicht sein 800 km durch Deutschland zu fahren, ohne angehupt zu werden? Wohin er mich hupen wollte? Keine Ahnung. Radweg gab es jedenfalls nicht. Aber den Unterschied zwischen Radweg mit der Beschilderung 237, 240 oder 241 und dem Zusatz „Fahrrad frei“ (Schild 1022-10) kennt leider nicht jeder. Ich verständige mich mittels eindeutigem Handzeichens mit dem Kollegen. Auto? Höherpreisiges S.U.V., was sonst?

Dann war aber wieder Ruhe. Durch Bautzen (km 744) geht es ohne Probleme. Dort gibt es jetzt einen Radweg, der mit farbigen Markierungen auf der Straße abgesetzt ist. Perfekt.

12:44 Uhr: Am Ende von Bautzen geht es links Richtung Weißenberg. Eine Umleitungsbeschilderung und ein Schild mit „Durchfahrt nur bis O.L. Wurschen“ verheißt nichts Gutes. Aber oft kommt man mit dem Rad ja trotzdem durch. Ich rufe Dieter an. Der sagt man kommt durch, war aber nicht so. Also in Wurschen das Telefon nochmal zur Hand und kurz eine Umfahrung googeln. Nach ein paar extra Kilometern kam ich hinter der Baustelle wieder auf die Originalroute. Diese zog sich dann wie Kaugummi. Nur rauf und runter, gefühlt mehr rauf.

13:45 Uhr: Nach Melaune (km 773) nur noch Gegenwind. Ich will endlich ans Ziel. Es reicht. Irgendwann das erste Schild Berzdorf. Das ist gut, es geht bergab und das Ziel war ja am Berzdorfer See. Plötzlich noch ein Schild 8 % Steigung. Bergsee, oder was? Na ja. Es war der letzte Hügel der Strecke, und auf den letzten 2 km habe ich mir die Teilnehmer einer Oldtimer-Rallye angeschaut, die auch am See ihr Ziel hatten, und knatternd an mir vorbeifuhren.

14:52 Uhr: Ziel erreicht. Meine Frau und Dieter erwarteten mich mit dem ausgebreiteten „Go Bert Go“ Banner. Mein Sohn Kristian filmt den Zieleinlauf mit der Drohne. Glücklich überhaupt angekommen zu sein, zufrieden damit, dass eigentlich nichts passiert ist (außer, dass„Ente“ weg ist), schneller als gedacht, super Stimmung da noch viele Sportler da waren, und wissend, dass auch Paul und Roland noch im Rennen waren, gab es erst mal einen Kuss, nein NICHT von Dieter. Siegerehrungsfotos waren schnell gemacht. Dann Rad verstauen und ab zum Duschen. Das ist eine tolle Anlage da am See. Da kann man bestimmt super Urlaub machen! Fahrt mal hin (geht auch mit Bahn oder Auto ☝🏻)

Sieg in der Klasse non-supported M50+

15:30 Uhr: Frisch geduscht ging es runter zum Strand auf ein Radler und ein Softeis, bevor wir im Anschluss dann in ein Hotel in der Nähe gefahren sind. Das Weizen zum Abendessen war lecker!

Sonntag, 10:00

Nach einem gemütlichen und guten Frühstück ging es auf die Heimreise. Ich habe es mir auf der Rückbank gemütlich gemacht und die Zeit genutzt um diesen kleinen Bericht zu schreiben. Ich hoffe er gefällt euch. Hinterlasst bitte eure Kommentare.

Vielen Dank auch an den Veranstalter, Dieter Göpfert. So viel Herzblut und Enthusiasmus! 👍 Top!

Free „Ente“, meinen alten Weggefährten, der nie einen Namen hatte!

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Herbert Schmerz

    Hallo Bert, was soll ich sagen, ich bin schon fix und foxi, wenn ich den Bericht lese. Ich hoffe, deinem Schienbein geht es wieder ein bisschen besser. Als wärs ein Zeichen vom Himmel, kaum bist du wieder zu Hause, bekommen die Straßenkinder, die du mit deinem Teufelsritt unterstützt, trotz steigender Infektionszahlen auf den Philippinen seit gestern wieder eine warme Mahlzeit.
    Noch mal vielen Dank und allergrößten Respekt

    1. Bert

      Super Neuigkeiten, dass es wieder warme Mahlzeiten gibt. Dem Bein geht es besser als vor und während der Fahrt. Aber diese Woche ist Ruhepause.

  2. Dieter Wefers

    Betreff: Das glaube ich nicht!
    Lieber Bert,
    Du schreibst auf Deinem BLOG zur RAG 2021:
    „11:18 Uhr: Ich überquere den Rhein in Bonn [Anm.: Kennedy-Brücke (1. Rhein-Querung) rüber auf die schääl Sick rechtsrheinisch nach Bonn-Beuel]. Mittlerweile hat mich Michael Bitter eingeholt, und wir treffen uns an jeder Ampel durch die Stadt wieder. Ich trage 2 Trikots und muss feststellen, dass das zusammen mit dem Unterhemd am Rhein viel zu warm ist. Ich brauche Wasser! Bei Bornheim [Anm.: Bornheim liegt lrh., etliche km in nördl. in Richtung auf Köln zu, im Vüürgebiresch, d.h. also wieder zurück über die Kennedy-Brücke (2. Rhein-Querung)] geht es dann eine steile Rampe nach oben raus aus dem Rheintal [Anm.: Nun befindest Du Dich wieder rrh., hast also die Kennedy-Brücker erneut befahren (3. Rhein-Querung). Wissend, dass ich Michael da sowieso nicht weiter im Blick halten kann, freue ich mich über die Baustelle, an der ein Arbeiter gerade Wasser aus einem Hydranten zapft. Flasche drunter, und nach ca. 0,2 Sekunden war sie auch schon voll. Schön kalt. Und weiter geht es in Richtung Westerwald.“
    Ich war nicht dabei, lieber Bert, habe aber den Großteil meiner Kindheit, Jugend und Studienzeit in Bonn gelebt. Das ändert nichts daran: Eine ganz großartige Leistung!!
    Manatiling malusog! Bleibt gesund!
    Dieter Wefers

  3. Martin

    Hi Norbert, toller Bericht, hat mich ein bisschen an unsere Paris Tour erinnert, tolle Leistung 👍👍👍👍👍

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